Freitag, 10. Juli 2015

von Julia Schnizlein

STERNENMÜTTER "Frauen sind im Schock"

News spricht mit Psychologin Dr. Tordy über Folgen einer "Stillen Geburt"

Jeden Tag stirbt in Österreich mindestens ein Baby im Bauch seiner Mutter. Aber nur, wenn das Kind bei seiner Geburt ein halbes Kilogramm auf die Waage bringt, war es ein Mensch und seine Mutter ist auch offiziell eine Mutter. Wiegt es weniger bleibt es für die Gesellschaft eine namenlose Fehlgeburt. Als klinische Psychologin und Psychotherapeutin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde im Wiener AKH begleitet Dr. Karin Tordy häufig Frauen bei einer „Stillen Geburt“.

News hat mit ihr gesprochen.

News.at: Wie begleiten Sie Mütter, die wissen, dass sie ein totes Kind zur Welt bringen? Was „raten“ Sie ihnen? Tordy: Es ist wichtig, wahrzunehmen, dass Frauen in dieser Situation im Schock sind und für wichtige Entscheidungen Zeit brauchen, da im Schock die Entscheidungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Als Psychologin begleite ich Frauen bei der Beantwortungen wichtiger Fragen, etwa

  • Wann soll die Geburt eingeleitet werden? Mein Rat: keinesfalls am Tag der Diagnose, wäre komplette Überforderung.
  • Soll/ kann mein Partner bei der Geburt dabei sein? Mein Rat: ja. Von Männern wird die Schwangerschaft, das Kind meist noch abstrakt erlebt. Das gemeinsame Erleben der Geburt hilft bei der gemeinsamen Bewältigung – sonst entsteht bei den Frauen oft der Eindruck, sie sind mit ihrer Trauer alleine. Auch Männer brauchen real Erlebtes, um mit ihrer Betroffenheit und Trauer nicht „in der Luft zu hängen.“
  • Möchte/ kann ich mein Kind nach der Geburt sehen? Mein Rat: ja. Es ist wichtig, die Person, um die ich trauere, auch zu kennen. Für die meisten Paare ist es nach der Geburt auch ein instinktives Bedürfnis.
  • Ist es uns wichtig, dass unser Kind gesegnet wird? Frauen brauchen eine Mischung aus Schutz und Auseinandersetzung in dieser Situation. Ganz wichtig ist, sie in ihrer Angst vor der Geburt stützend zu begleiten.

News.at: Wie wichtig ist es, Fotos vom toten Baby zu machen? Weshalb sollte man das tun? Tordy: Um konkrete Erinnerungen zu haben, etwas zum Anschauen und Begreifen. Dadurch auch eine Sicherheit, dass das Kind nicht vergessen wird. Gemeinsame Fotos mit dem Partner sind für die Frauen oft sehr berührend und wichtig. Fotos kann man herzeigen, damit wird das Kind als kleine Person auch in der Familie sichtbar und bekommt Bedeutung.

 

News.at: Sollten die Eltern, wenn es möglich ist, die Beerdigung ihres Babys organisieren oder ihr zumindest beiwohnen? Tordy: Alles, was sie konkret für ihr Kind tun können, ist hilfreich bei der Bewältigung. Eine Beerdigung ist ein wichtiges Ritual des Abschiednehmens, manchmal auch mit Familienmitgliedern. Viele Frauen erzählen, dass sie nachher ruhiger sind.

 

News.at: Ist es Ihrer Erfahrung nach wichtig, dass Mütter nach dem Tod eines Babys eine Schutzzeit bekommen, in der sie zum Beispiel nicht arbeiten gehen dürfen, um das Geschehene besser verarbeiten zu können? Tordy: Ja, weil die Bewältigung des Erlebten viel psychische Energie bindet. Dadurch ist mit verminderter Stressresistenz und Belastbarkeit in Alltags- und Berufssituationen zu rechnen. Speziell die Konzentrationsfähigkeit ist längere Zeit reduziert, da die Psyche mit dem Verstehen, Akzeptieren und Verarbeiten der Ereignisse ausgelastet ist. Für arbeiten gehen. Hier wäre ein sanfter Einstieg, eine kurzfristige Stundenreduktion hilfreich. Für manche Frauen bedeutet ihr Beruf aber auch Strukturierung im Alltag, sie möchten nach ein bis zwei Wochen wieder arbeiten gehen. Hier wäre ein sanfter Einstieg, eine kurzfristige Stundenreduktion hilfreich.

 

Wie sechs Sternenmütter für die Abschaffung der Gramm-Grenze und für bessere sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung von Betroffenen kämpfen, konnten Sie in der Printausgabe von News nachlesen. Seite 1 & Seite 2. Online: news.at/a/sternenmuetter 


Mit 1.4.2017 kam auf Wunsch der Angehörigen die Dokumentation der Fehlgeburt am österr. Standesamt! Statistik Austria: Fehlgeburt. Funken der Liebe 2016, 2017.

Da es für die Medizin in Bezug auf Fehlgeburten vor der 18. - 24. SSW keine Bestattungspflicht gibt, kann es auch zu folgendem Umgang mit Leibesfrüchten kommen: fixiert in Parafin, Fehlgeburten über Hausmüll entsorgt, Forschung, Transplantation, Impfstoff.

Wenn Angehörige eine Beerdigung oder Kremierung ihrer Fehlgeburt sich wünschen, sollten sie daran denken, bevor ihr Kind den Mutterleib verlassen hat. Eine Hebamme betreut auch zu Hause stille Geburten: Wenn der Geburtsort für eine Fehlgeburt außerhalb der med. Einrichtung  ist, können die Angehörigen anschließend einen Bestatter ihrer Wahl anrufen und ihm schon beim Anruf mitteilen, das ihr still geborenes Kind noch keine Totenbeschau erlebt hat. Die Totenbeschau ist der 1. Akt zu einem Begräbnis